“times new romance” ist eine Serie von Arbeiten, die kollektiven Träumen und deren Ästhetik nachgeht. Eine Reflexion auf die Ästhetik der kollektiven Träume, die meine Peers und ich teilen.
Hier in Berlin bin ich Teil eines Diskurses, der Gentrifizierung kritisch reflektiert, während wir gleichzeitig Teil davon sind. Mode und ein Ringen um exzentrische Individualität scheinen die Kehrseite derjenigen Dynamiken, die Kollektivität und Zugehörigkeit erst erzeugen.
Die Atmosphäre in meiner Nachbarschaft gleicht bisweilen einem kollektiven Traum. Die Installation versucht der Textur dieses kollektiven Traums nachzuspüren – dem Traum vom Aufwachen.
“times new romance” ist geleitet von der Frage: Wann wird das Private politisch, und wo dringt die Öffentlichkeit in die intimsten Elemente der Privatsphäre, wie die eigenen Träume, ein?
Als Dokusurrealismus lässt sich auch die Videoarbeit von Mathias Reitz Zausinger charakterisieren. Für „times new romance“ hat er über ein Jahr hinweg beim Spazierengehen in seiner Nachbarschaft in Berlin Neukölln Satzteile und Phrasen aufgeschnappt und gesammelt, ebenfalls auf Spurensuche nach einer Art kollektivem Unterbewusstsein. Collagenartig nebeneinander gesetzt ergibt sich aus den verschiedenen Aussagen eine gemeinsame Textstruktur, ein fragmentarisch bleibendes Gesamtbild von den Sehnsüchten und Träumen vom Leben in der Großstadt. Welche psychosozialen Realitäten verbergen sich hinter dem Gesagten? So individuell die einzelnen Schicksale gerade in einer diversen Metropole wie Berlin auch sein mögen, sie ergeben als Produkt von Lebensentwürfen und Sehnsüchten, die von Moden geprägt sind und innerhalb einer ganzen Generation zirkulieren, ein atmosphärisches Ensemble. Dabei wird die ganz reale und materielle Eingebundenheit der Menschen in das Erleben ihrer eigenen Biographie sichtbar. Beim Flanieren durch die Gedanken der Bewohner*innen schweben Sätze wie „and the soul has its own speed“ in schlichter Typografie über einer Bildebene, auf der die Fassaden des Bezirks abgefilmt werden. Wie in Walter Benjamins „Passagenwerk“ wird ein Spaziergänger imaginiert, der die Architektur abschreitet und die Stadt als einen Ort kultureller und sozialer Transformation erlebt.
Das Kamerabild ist in surreales, magenta-blaues Licht getaucht, angelehnt an die analoge Day-for-Night Technik, mit der bei Tag Nachtszenen gedreht werden und die für ihre künstliche Anmutung bekannt ist. In Reitz Zausingers Arbeit erzeugt die Lichtsituation das Gefühl von Entrücktheit: als würde man nicht wirklich die Straße entlang gehen, sondern nur in der Phantasie oder im Traum. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die musikalische Begleitung: Eine improvisierte Melodie mit Duduk, einem armenischen Instrument, das in Hollywood häufig bei Traumszenen und intensiv-emotionalen Momenten zur Untermalung eingesetzt wird. Die Musik ist in Zusammenarbeit mit Daniel Smith, dem Onkel des Künstlers, entstanden, einem professionellen Flötisten aus Chile, der sich auf das Spiel diverser indigener Instrumente spezialisiert hat. Der Name der Arbeit ist auch ästhetisches Programm: „times new romance“ ist gerade in seiner Zurückgenommenheit romantisch, einerseits von dokumentarischer Klarheit, andererseits von emotionaler Vagheit beherrscht.
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